Sehr geehrte Richterinnen und Richter, 

wir schreiben Ihnen als Menschen, die wie Müslüm Elma im Militärgefängnis von Diyarbakır inhaftiert gewesen sind. Wir haben Müslüm Elma in jenem Militärgefängnis kennengelernt. 

Wie Sie wissen, ist Müslüm Elma seit dem 15. April 2015 in Deutschland inhaftiert. Während seine Freunde, die im Zuge desselben maßlos überzogenen und skandalösen Polizeieinsatzes festgenommen wurden und mit ihm im selben Verfahren angeklagt werden, inzwischen freigelassen wurden, ist Müslüm Elma immer noch Haft.

Diesem Unrecht muss ein Ende gesetzt, Müslüm Elma muss freigelassen werden.

Das deutsche Justizministerium mag im Hinblick auf zwischenstaatliche Interessen und die politische Konjunktur gewillt sein, so mancher „Bitte“ des türkischen Regimes nachzukommen. Hingegen dürften die deutschen Gerichte, die universelle Rechte sowie die Grundsätze der Gerechtigkeit zur Grundlage ihres Handelns machen sollten, einem solchen Vorgehen nicht zustimmen. Es ist offensichtlich, dass die Behandlung von Müslüm Elma und seinen Freunden als “Terroristen” auf eine Forderung der in der Türkei herrschenden faschistischen AKP-MHP-Koalition zurückzuführen ist. Aber dieses Regime betrachtet auch die beiden größten Oppositionsparteien des Landes (CHP und HDP) und deren Funktionäre als “Terroristen”. Wir halten es für einen besonderen Skandal, eine Person wie Müslüm Elma, der das Militärgefängnis von Diyarbakır überlebt hat, auf Wunsch der Türkei zu inhaftieren. Damit wird dem Wunsch des Staates nachgekommen, der ihn so gefoltert und misshandelt hat.

Wir kennen Müslüm Elma. Wir können bezeugen, was für ein Mensch er ist, dass er unvorstellbarer Folter widerstanden hat, dass er unter den Bedingungen des Militärgefängnisses seine Menschlichkeit bewahrt hat.

Auch wenn Sie dies sicherlich wissen, wollen wir Ihnen doch Folgendes in Erinnerung rufen: Müslüm Elma wurde, kurz nachdem die türkische Militärjunta am 12. September 1980 die Macht an sich gerissen hatte, verhaftet. Die Putschisten haben ihn in der Absicht, einen Grund für seine Tötung zu finden, sechs Monate lang unter Folter verhört. Anschließend haben sie ihn in das Militärgefängnis des Typs E in Diyarbakır verbracht, wo die Folterungen in intensiviertem Maße fortgesetzt wurden. In diesem Gefängnis wurde er Zeuge, wie sich vier seiner Zellengenossen selbst verbrannten. Dies war die einzige Form des Widerstandes, der ihnen noch blieb. Über Monate war er gezwungen, mit Menschen in einer Zelle zu leben, die an Tuberkulose erkrankt waren. Er sah sich gezwungen, zum Mittel des Todesfastens zu greifen. Nachdem in der Folge seine Gesundheit stark geschädigt war, wurde er im Jahr 1992 entlassen. 

Müslüm Elma begab sich mit Unterstützung der Menschenrechtsstiftung in ärztliche Behandlung. Die Zeit, in der er freigelassen wurde, war auch die Zeit, in der tausende Kurden, Sozialisten und Demokraten entführt und anschließend vermisst wurden. Tausende Dörfer wurden zwangsgeräumt, Millionen Menschen wurden zur Migration gezwungen, zahlreiche Intellektuelle und Schriftsteller fielen Attentaten zum Opfer, Tausende wurden ermordet.  

Müslüm Elma wurde im November 1993 im Istanbuler Stadtteil Kadıköy, wo er mit Freunden zusammensaß, erneut festgenommen. Mit Freunden im Café zu sitzen, galt nach dem Rechtsverständnis der Ära von Tansu Çiller und Mehmet Ağar als „Zusammenkunft einer Organisation“, weswegen er zu 18 Jahren Haft verurteilt wurde. Die Gefängnismassaker der Jahre 1996 und 2000 wurden vor den Augen Müslüm Elmas begangen; auch diese Grausamkeiten musste er miterleben. Nachdem bei ihm als Folge des Todesfastens das Wernicke-Korsakoff-Syndrom diagnostiziert wurde, wurde er im April 2002 unter Auflagen entlassen. Jedoch war er immer wieder Schikanen und Bedrohungen ausgesetzt, und nicht nur er selbst, sondern auch seine Angehörigen, Nachbarn und Freunde.

Nunmehr war es für ihn schwer, weiterhin in der Türkei zu leben. Er sah sich gezwungen, die Türkei zu verlassen, und er suchte in Deutschland um Asyl. Die deutschen Behörden gewährten ihm als politischem Flüchtling Asyl. In Deutschland befand er sich in Behandlung wegen Krankheiten, an denen an der er als Folge der langjährigen schlechten Haftbedingungen litt. 

Betrachtet man seine Situation im Lichte unserer obigen Erläuterungen, so ist die weitere Inhaftierung Müslüm Elmas allein unter humanitären Gesichtspunkten nicht hinnehmbar. Der türkische Staat hat ihn nicht nur gefoltert, sondern die Militärstaatsanwälte und Richter haben ihm in skandalösen Verfahren schon zu viele Lebensjahre genommen. Es ist ein Wunder, dass er überlebt hat. Einen Menschen, der so viele Jahre unrechtmäßig inhaftiert war, jetzt wieder und so lange zu inhaftieren, ist nicht menschlich. 

25.11.2019

Unterzeichner/innen: 

1- H. Hayri Aslan

2- Recep Maraşlı

3- Nuran Maraşlı

4- Kazim Akkuş

5- Paşa Uzun

6- Hatip Dicle

7- M. Emin Tüysüz

8- Mehdi Zana

8- Metin Cansız

10- Metin Aslan

11- Fuat Kav

12- Kemal Aktaş

13- Mustafa Sarıkaya

14- Kamber Akbalık

15- Zeynep H. Kıllı

16- Fuat Çavgun

17- Ayhan Toprak

18- Haydar Yücel

19- Cemal Miran

20- Hüseyin Yeşildağ

21- Av. Ruşen Arslan